Der tonnenschwere Satellit "Rosat" wird bald auf der Erde einschlagen. Bundeswehr-Spezialisten berechnen das gefährdete Gebiet.
Der deutsche Röntgen-Satellit "Rosat", der sich seit Juni 1990 in einer Erdumlaufbahn befindet. Foto PA
Unter der Leitung von Oberst Harald Borst wird zur Zeit das neue Weltraumlagezentrum der Bundeswehr im nordrhein-westfälischen Uedem aufgebaut.
Bisher besteht diese Weltraum-Truppe unweit der deutsch-niederländischen Grenze erst aus drei Soldaten. Geplant ist allerdings, so berichtet Oberst Borst, eine Sollstärke von 50 Mann.
Das Emblem für das Weltraumlagezentrum in Uedem: Es zeigt die Erde mit Sternen und einige Umlaufbahnen.
Wer bei der Bezeichnung „Weltraumlagezentrum“ an „Krieg der Sterne“ denkt, liegt damit zwar nicht ganz falsch. Allerdings geht es hier ausschließlich um defensive Maßnahmen – zum Beispiel um den Schutz aller bundeswehreigenen Satelliten.
Mittlerweile verfügt die Bundeswehr über sieben Satelliten. Da gibt es fünf Aufklärungssatelliten („SAR-Lupe“), die mit Radarwellen unabhängig von Wetter und Tageszeit rund um den Globus gestochen scharfe Bilder von der Erdoberfläche liefern können.
Außerdem besitzt die Bundeswehr zwei eigene Kommunikationssatelliten, wobei sich der am 21. Mai dieses Jahres gestartete „Comsat-Bw2“ noch in der Testphase befindet und voraussichtlich erst ab Ende Juli einsatzbereit sein wird.
Weltraumschrott ist die größte Bedrohung
Die größte Bedrohung für die Satelliten der Bundeswehr ist jedoch nicht eine gegnerische Einwirkung, sondern schlicht der Weltraummüll. Mehr als 600.000 mindestens zentimetergroße Trümmerteile ausgebrannter Raketenoberstufen, Satelliten und andere Überreste der Raumfahrt kreisen bereits im erdnahen Weltraum. Eine Kollision mit einem dieser rasend schnellen Objekte kann einen Satelliten ohne Weiteres komplett zerstören. Bei TV- oder zivilen Kommunikationssatelliten hätte dies unmittelbare wirtschaftliche Folgen; im Falle von militärischen Satelliten wäre im Ernstfall die Sicherheit deutscher Soldaten gefährdet.
Eine Aufgabe des Weltraumlagezentrums wird es also sein, stets einen vollständigen Überblick über die Bahnen der Trümmerstücke zu haben, die einen Satellit gefährden könnten. Dabei wird es eine Zusammenarbeit mit den USA und Frankreich geben, die bereits über eine größere Expertise verfügen. Aber auch mit zivilen Wissenschaftlern soll es eine Zusammenarbeit geben, um in einer Kombination aus der Beobachtung von Weltraummüll sowie Simulationen im Computer rechtzeitig drohende Kollisionen zu erkennen. Dann lässt sich ein drohender Crash durch Bahnkorrekturen abwenden.
Gefahren durch Weltraummüll drohen indes nicht nur im Orbit, sondern durchaus auch auf der Erde. So rast zum Beispiel der ausgediente deutsche Forschungssatellit „Rosat“ seit Jahren unkontrolliert durchs All. Nach Berechnungen von Wissenschaftlern der Technischen Universität Braunschweig wird die rund 2,5 Tonnen schwere Satellitenleiche im Jahr 2011 auf die Erde stürzen. Ein Teil von „Rosat“ wird beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglühen.
Doch bei einem so großen und schweren Satelliten wird in jedem Fall ein tonnenschweres Objekt übrig bleiben, dass wie ein Meteorit irgendwo auf der Erde einschlagen wird – möglicherweise sogar in Deutschland. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lassen sich allerdings noch überhaupt keine Vorhersagen über den Einschlagsort von „Rosat“ machen. Und selbst kurz vor dem Eintritt des Satelliten in die Atmosphäre der Erde wird sich die Einschlagsregion nur grob angeben lassen.
Für eine gegebenenfalls notwendig werdende Warnung an die Katastrophendienste wird das neue Weltraumlagezentrum zuständig sein. Dabei ist eine Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern notwendig, die mithilfe von Computersimulationen Prognosen über die zu erwartende Einschlagsregion machen können.
Einschlagsgebiet lässt sich kaum exakt bestimmen
Auch die Antwort auf die Frage, ob ein sich der Erde näherndes Objekt zerbrechen und in mehreren Einzelteilen herunterfallen wird, kann mit solchen Berechnungen ermittelt werden. Einer der führenden Wissenschaftler für solche Szenarien ist der Göttinger Professor Georg Koppenwallner.
„Das Einschlagsgebiet für einen Satelliten lässt sich auf einen Streifen von 30 Kilometer Breite und 200 bis 300 Kilometer Länge eingrenzen“, erklärt Oberst Borst. Wenn man allerdings bedenkt, dass der größte Teil der Erde von Ozeanen bedeckt oder unbewohnt ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen Einschlag in einer bewohnten Gegenden ziemlich klein – doch eben auch nicht null. Vorsorge zu treffen ist da kein Fehler, wenngleich es einen unmittelbaren Schutz nicht geben kann.
Beim Bau von „Rosat“ wurde offensichtlich nicht über die Frage nachgedacht, was am Ende seiner Lebensdauer geschehen würde. Aus diesem Fehler hat man inzwischen gelernt. „Wer heute etwas ins All bringt, der muss den Nachweis erbringen, wie der Satellit am Ende seiner Nutzungszeit entsorgt wird“, erklärt Oberst Borst.
Denkbar ist da beispielsweise, dass ein Himmelskörper mit einer dafür eingeplanten Treibstoffration in einen hohen Orbit – gleichsam einen Satellitenfriedhof – verbracht wird, von dem aus er nicht mehr auf die Erde stürzen kann. Andererseits wäre es auch eine Option, große Satelliten kontrolliert in mehrere Teile zu zerlegen, die klein genug wären, dass sie in der Erdatmosphäre vollständig verglühen können. Das Thema „Schutz vor Wiedereintritt“ wird jedenfalls einen hohen Stellenwert beim deutschen Weltraumlagezentrum haben.
Eine weitere Aufgabe der Spezialeinheit in Uedem wird der Schutz von deutschen Einsatzkräften vor Aufklärung aus dem All sein. Dazu gehört zum einen die Beobachtung von Bahnen „fremder“ – um nicht zu sagen „gegnerischer“ – Satelliten, die möglicherweise Aktionen deutscher Soldaten beobachten und für sich nutzen können. In solchen Fällen könnten die Einheiten gewarnt werden, sodass sie ihr Verhalten entsprechend anpassen könnten. Zum anderen geht es darum, die eigenen Satelliten zu bestimmten Zeiten nicht funken zu lassen – nämlich dann, wenn sie solche Regionen überfliegen, in denen man befürchten muss, dass die Signale des Satelliten dort von Spezialeinheiten abgehört und die entsprechenden Informationen zum Nachteil deutscher Interessen verwendet werden könnten.
Ein realistisches Fallbeispiel möchte Oberst Borst hier nicht nennen. Doch mit einem, wie er sagt, „konstruierten Beispiel“, veranschaulicht er, worum es geht: „Nehmen Sie an, ein Bundeswehrsatellit fliegt gerade über das Horn von Afrika. Dann wäre es besser, den Satelliten keine Daten senden zu lassen, damit in der Region Piraten oder Terroristen mit entsprechender Empfangstechnik keine Informationen abgreifen können.“
Im Extremfall wird das Weltraumlagezentrum der Bundeswehr sich auch mit Angriffen auf Satelliten auseinandersetzen müssen. Was hier technisch möglich ist, hat beispielsweise China im Jahr 2007 demonstriert. Damals wurde von chinesischem Boden aus eine Anti-Satelliten-Rakete abgeschossen, die zielgenau einen Satelliten in der Erdumlaufbahn traf und zerstörte – gottlob handelte es sich dabei um einen eigenen, chinesischen Satelliten, der nicht mehr gebraucht wurde. Auch die USA verfügen zweifelsohne über die technische Fähigkeit, Satelliten im All zu zerstören, möglicherweise auch Russland. Oberst Borst stellt fest, dass es gegen derartige Angriffe gegen Satelliten keinen unmittelbaren Schutz gibt. An dieser Stelle bliebe den Experten im Weltraumlagezentrum nichts anderes, als die Vorgänge im All zu protokollieren und zu verifizieren.
Wenn man schon den eigenen Satelliten nicht schützen kann, so will man doch wenigstens wissen, welcher Übeltäter für eine Attacke verantwortlich gewesen ist. Durch den Satellitenabschuss im Jahr 2007 wurde übrigens die Zahl der Partikel, die als Weltraumschrott andere Satelliten gefährden, dramatisch erhöht. Ein „Satellitenkrieg“ im Erdorbit würde also – gleichsam wie beim Schneelballeffekt – für immer mehr Weltraummüll und immer mehr Crashs mit anderen Satelliten sorgen.
Doch warum eigentlich wurde der kleine Ort Uedem als Standort für das Weltraumlagezentrum der Bundeswehr ausgewählt? Oberst Borst hat eine einfache Erklärung dafür. In Uedem existiert bereits ein Nato-Lagezentrum zur Sicherheit des Luftraums. Das heißt, dass es dort bereits ganz ähnliche Organisationsstrukturen und etablierte Kommunikationsprozesse gibt, die im Fall des Weltraumlagezentrums ganz ähnlich verlaufen. Davon wird man also profitieren. Und schließlich gibt es ja ganz ohne Frage einen „fließenden Übergang“ zwischen dem Luftraum und dem Weltall.